In der Via San Gregorio Armeno, Neapels Krippenstrasse, herrscht nach dem letztjährigen Pausieren wieder grosser Andrang. Aber der ist zumindest geordnet. Der weihnachtliche Bummel folgt einer Einbahnstrassenregelung, und geht nur vom Süden her und nur mit Green Pass. Oben am Ausgang, der Piazza San Gaetano, stehen Polizisten und lassen niemanden durch. So soll Stau vermieden werden.
Die Via San Gregorio Armeno ist das Reich der neapolitanischen Krippenbauer. Wohl nirgendwo auf der Welt ist die Vorweihnachtszeit so kreativ und so fantasiereich, so exotisch und opulent wie in diesem engen Gässchen in Neapels Altstadt. Seit vielen Generationen stellen hier insgesamt 38 Kunsthandwerksbetriebe alles her, was in eine ordentliche italienische Weihnachtskrippe gehört – und auch, was eigentlich nicht hineingehört.
Merkel neben Berlusconi
Zu kaufen sind auch kleine Statuen von einheimischen Musikern wie dem verstorbenen Pino Daniele und auch von Fussballern – allen voran natürlich von Diego Armando Maradona, der den SSC Neapel in den Achtzigerjahren zu zwei Meistertiteln geführt hat und der deswegen bei den Neapolitanern ebenfalls Heiligenstatus geniesst. Politiker dürfen da nicht fehlen, sogar Merkel ist dabei, als weniger schmeichelhaft dürfte sie allerdings empfinden, dass sie im Geschäft Pastori dalle Mani Pulite neben Berlusconi und Putin feilgeboten wird.
Begehrt sind nicht nur die mehr oder weniger originellen Krippenfiguren, sondern vor allem die Krippen selbst, die aus Holz, Kork und Moos hergestellt werden. In der Regel beschränken sich die Krippenbauer nicht einfach auf den Stall von Bethlehem, sondern sie gestalten ganze Landschaften mit mehreren, zum Teil vielstöckigen Gebäuden, in denen Bauern, Schmiede, Bäcker und Gemüsehändler ihrem Gewerbe nachgehen. In besonders aufwendigen Krippen flackert eine künstliche Glut aus dem Pizzaofen oder ein kleines Bächlein treibt ein Mühlerad an. Auch bei der Gestaltung der Krippen sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt.
Beten, dass es so bleibt
Weil im letzten Jahr die damalige Regierung Conte für die Krippenbauer in Neapel so gut wie keine Corona-Hilfen bereitgestellt habe, waren viele der kleinen Betriebe in ihrer Existenz bedroht. Doch dann wirkte, was nur in Neapel möglich scheint. Die Solidarität unter Konkurrenten. Die Krippenbauer haben sich gegenseitig geholfen, damit keiner schliessen musste.
Inzwischen ist in Neapels Krippengasse die Normalität zurückgekehrt: Seit einigen Tagen schwillt der Strom der italienischen und ausländischen Touristen an. Auch in Italien steigen die Fallzahlen. Um einem möglichen neuen Lockdown vorzubeugen, haben die Krippenbauer Neapels getan, was ihnen möglich war: Sie haben sich alle impfen lassen, ohne Ausnahme. „San Gregorio Armeno ist covidfrei“, sagt Luciano Capuano, der mit seinem Bruder Vincenzo in fünfter Generation die im Jahr 1840 gegründete Krippenwerkstatt Fratelli Capuano führt. Wir betten, dass es so bleibt.