Wie keine zweite Spielzeugfigur verkörpert Pinocchio Italien. Die aus Holz geschnitzten Puppen sind ein beliebtes Souvenir, die es überall in Italien zu kaufen gibt. So auch in Florenz in der Via della Condotta, fussläufig zum Dom. Dort hat Francesco Bartolucci eins seiner zahlreichen Geschäfte. Das nun leider Opfer der Krise geworden ist. Ausbleibende Touristen während der Pandemie und die zuletzt explodierenden Preise für Holz konnte der Familienbetrieb nicht mehr stemmen.
Francesco Bartolucci hat als kleiner Bub im Alter von 13 Jahren seine erste Pinocchio Figur geschnitzt. Zunächst hat er damit sein Taschengeld aufgebessert, später dann die Schnitzereien für 10‘000 Lire auf Märkten verkauft. Mit einem alten Citroen Dyane 6 ist er sie abklappert. „Francesco baute nicht nur den Stand auf, er brachte auch seinen Schraubstock und sein Arbeitswerkzeug mit und schuf seine Objekte in Echtzeit“, erinnert sich seine Frau Mariagrazia.
Mit ihr zusammen eröffnete er 1990 sein erstes Geschäft in Urbino. Weitere folgten. Bis heute ist das Pinocchio-Reich auf 150 Geschäfte weltweit angewachsen, von Wernigerode bis San Francisco. Doch die Krise zwang den Familienbetrieb Filialen zu schliessen. Das Stammhaus in Urbino schon vor einem Jahr und nun Florenz. Werden weitere folgen?
Pinocchio eine Figur für Zeiten des Umbruchs
Die Entwicklung ist sehr bedauerlich, meint Francesco. Und schade, denn die Figur passt sehr gut in die heutige Zeit. Wir leben in einer Zeit der Lügen. Man lügt nicht mehr als früher, aber Lügen verbreiten sich schneller.
Wie sehr Pinocchio die Puppe der Stunde ist, zeigt auch dass Disney eine Neuauflage seines Klassikers von 1940 für den Herbst angekündigt hat. Mit Tom Hanks in der Rolle von Meister Geppetto. Auch Netflix wird seinen eigenen Pinocchio-Film herausbringen. Gedreht vom Oscarpreisträger Guillermo del Toro, der sich damit einen alten Traum erüllt: Pinocchios Abenteuer als eine dunkle politische Parabel zu verfilmen. Del Toros Pinocchio soll im faschistischen Italien spielen, kein Pinocchio für die ganze Familie, hat del Toro gewarnt. Ist Pinocchio eine Figur für Zeiten des Umbruchs?
Sehnsucht nach etwas Greifbarem
Es gab schon mal Zeiten, da wurde Pinocchio ähnlich arg beansprucht wie heute. In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg wurde das Märchen, das keine 30 Jahre zuvor von dem Florentiner Autor Carlo Colledio als Le avventure di Pinocchio erschaffen wurde, zu einem Weltbestseller. Die erste Übersetzung in den USA erschien unter dem Titel Pinocchios Abenteuer im Wunderland.
Francesco Bartolucci, der Pinocchio-Schnitzer, hat eine weitere Theorie, warum die Puppe gerade jetzt so populär ist. Er zeigt auf seine Hände: "Als ich zu arbeiten begann, als Teenager, bluteten meine Hände. Dann wurden sie so rau, ich konnte daran Zigaretten ausdrücken. Die Mädchen waren beeindruckt. Meine Hände sind echt, wie dieser Meißel, dieser Hammer. Dieses Werkzeug hat sich seit Jahrhunderten nicht verändert. In Zeiten des Internets sehnen sich die Leute nach etwas Greifbarem.